Stille Rebellinnen
Persönliche Geschichten aus dem Turmzimmer
Christa Prameshuber, Sie leben in der Schweiz und widmen sich nun nach zahlreichen beruflichen Stationen in internationalen Organisationen wie bei den Vereinten Nationen dem Schreiben. Mit einer Frauentrilogie über ihre drei bemerkenswerten Linzer Großtanten, die Sie nach dem frühen Tod Ihrer Mutter großzogen, setzten Sie diesen ein literarisches Denkmal. Nun haben Sie sich auf ein Abenteuer in Linz begeben: Sie haben sich im Februar 2024 als Turmeremitin in die kleine Türmerstube auf dem Linzer Mariendom zurückgezogen. Eine Woche lang lebten Sie als Einsiedlerin in 68 Metern Höhe. Was hat Sie dazu bewegt?
Christa Prameshuber: Die Neugierde! Als ich das Plakat zum Projekt „Turmeremit“ sah, wollte ich herausfinden, was noch Unentdecktes in mir schlummert, was in der Stille und Einsamkeit vielleicht zum Vorschein kommen würde. Außerdem wollte ich meine Heimat Linz sozusagen aus einer neuen Perspektive erleben.
Wie sah ein typischer Tag während dieser Zeit aus?
Christa Prameshuber: Ich wurde um 7 Uhr vom Glockenläuten geweckt, machte mir einen Kaffee und öffnete beim Duft des frischen Kaffees das Fenster. Danach folgte meine morgendliche Gymnastik, gefolgt von Lesen und Schreiben. Ein tägliches Gespräch mit der spirituellen Begleitung gehörte ebenso dazu. Mehrmals lief ich die Wendeltreppe hinauf und hinunter, um das Essen zu holen, den Mariendom zu erkunden und an Aktivitäten im Dom (Messe, Konzert) teilzunehmen. Dann Abendessen im Turmzimmer, Lesen und Schreiben bis Mitternacht.
Haben Sie sich einsam gefühlt?
Christa Prameshuber: Niemals, wirklich nicht eine Sekunde. Im Gegenteil, ich habe die Zweisamkeit mit mir selbst genossen.
Haben Sie etwas aus Ihrem Alltagsleben vermisst?
Christa Prameshuber: Gar nichts, nicht einmal die Dusche. Vielleicht war es die Tatsache, dass ich bei all den spannenden Lesethemen nicht einfach schnell googeln konnte. Stattdessen musste ich mir die Fragen notieren und konnte sie erst nach meiner Rückkehr nachschlagen – das war eine ganz neue Erfahrung.
Was hat Ihnen besonders gut gefallen oder was hat Sie besonders beeindruckt?
Christa Prameshuber: Turmeremitin über den Dächern des Mariendoms zu sein, war ein wahrhaft erhabenes Erlebnis, das mich spirituell tief berührte. Besonders beeindruckend waren meine nächtlichen Ausflüge in die menschenleere Kirche. Die flackernden Lichter, die allumfassende Stille und das sanfte Schimmern der Kirchenfenster schufen eine unglaublich mystische Atmosphäre. Das Turm-Zimmer mit dem Rundgang am Balkon und dem herrlichen Ausblick auf die Stadt und bei gutem Wetter die Berge fand ich einfach großartig.
Hatten Sie ein bestimmtes Ritual während dieser Zeit?
Christa Prameshuber: Ja, meinen morgendlichen Kaffee, die Gymnastik und das tägliche Schreiben im Eremitentagebuch habe ich regelrecht zelebriert.
Sind Sie ein religiöser Mensch?
Christa Prameshuber: Wenn man „religiös“ als gläubig versteht, würde ich sagen: Ja, ich glaube an etwas Höheres und an spirituelle Prinzipien. Allerdings bin ich nicht „praktizierend“ im Sinne von regelmäßigen Kirchenbesuchen. Durch meinen Aufenthalt im Turm des Linzer Mariendomes habe ich jedoch wieder einen tieferen Zugang zur Kirche gefunden.
Welche Herausforderungen begegneten Ihnen in Ihrem Alltag als Turmeremitin?
Christa Prameshuber: Es war viel einfacher, als ich es mir vorgestellt hatte. Zum Glück hatte ich keine Schwierigkeiten, die 395 Stufen mehrmals am Tag rauf- und runterzusteigen – im Gegenteil, es hat sogar Spaß gemacht, dabei fitter zu werden. Weder gab es Momente der Angst noch Anflüge von Einsamkeit. Die größte Herausforderung war wohl, die Zeit sinnvoll mit mir selbst zu nutzen. Ich denke, das ist mir dank meiner Vorbereitung und der spirituellen Begleitung ziemlich gut gelungen.
Wie haben sich Ihre Perspektiven auf das Leben und die Welt durch diese Erfahrungen verändert?
Christa Prameshuber: Das ist wohl die Frage, die mir bisher jeder gestellt hat. Ich bin ruhiger, zufriedener, ausgeglichener und fühle mich freier. Damit meine ich, dass ich einige innere Lasten loslassen konnte. Die Zeit mit sich selbst und das Nachdenken an einem so spirituellen Ort lassen niemanden unberührt. Da passiert etwas mit einem. Ich denke, die Ruhe und Stille wirken wie eine innere Reinigung – eine Art seelischer Hausputz.
Hatten Sie Kontakt zur Außenwelt, sei es durch Familie, Freunde oder Technologie?
Christa Prameshuber: Meine Außenwelt bestand aus den täglichen Treffen mit meiner spirituellen Begleitung, dem Besuch meiner Schwester, einer Freundin und eines Fotografen. Ich habe keinerlei Technologie genutzt. Ein weiterer Kontakt zur Außenwelt waren die vielen Briefe, die ich geschrieben habe.
Werden Sie wieder einmal in die Einsamkeit gehen?
Christa Prameshuber: Ja, unbedingt! Ich möchte im kommenden Jahr für eine Woche in ein Frauenkloster in Italien gehen.
Gibt es eine Botschaft oder Weisheit, die Sie mit anderen teilen möchten, basierend auf Ihren Erfahrungen?
Christa Prameshuber: Trau dich, ungestört Zeit mit dir selbst zu verbringen!